New Work ist das Gebot der Stunde

Viele Menschen – auch aus der New Work – Szene – wissen anscheinend nicht (oder wollen es nicht wissen), woher New Work eigentlich stammt und wodurch es geprägt wurde. Wüssten sie es, würde sich die Frage, ob New Work die momentane Krise überlebt oder nicht, gar nicht erst stellen.

New Work war anfangs ein Projekt für den persönlichen Krisenmodus: für Arbeitslose, Obdachlose, kriminelle Jugendliche.

Ich will hier einmal nicht auf den sozialethischen oder philosophischen Aspekt von New Work hinaus, sondern auf ein konkretes Szenario. Ende der 1980er war die US-Automobilindustrie in einer tiefen Krise. Natürlich nicht so schlimm wie heute, aber die Autoindustrie war damals fester Bestandteil der Big Three der amerikanischen Wirtschaftsleistung: Big Oil, Wall Street und eben Big Detroit (als Sitz der wichtigsten Autokonzerne). Heute hat übrigens das Silicon Valley Big Detroit als eine der drei Hauptstützen amerikanischer Wirtschaft abgelöst, aber das nur nebenbei.

Damals musst auch General Motors viele Menschen entlassen. Zu dieser Zeit kam Prof. Frithjof Bergmann, der Begründer von New Work, mit dem Management von GM ins Gespräch und machte folgenden Vorschlag: GM sollte innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten die Menschen sechs Monate beschäftigen (denn solange war noch Arbeit da) und in den zweiten sechs Monaten das Gehalt weiterzahlen, während die Mitarbeiter in ihren Communities ein „New-Work-Coaching“ erhielten, bei welchem sie gemeinsam und für sich ihre „Arbeit, die sie wirklich, wirklich wollen“ herausfinden sollten – mit denen sie dann idealerweise auch noch ihre Communities unterstützen würden.

Und das Wunder geschah: Das Management von GM ließ sich auf den Deal ein. Dennoch waren die Ergebnisse des Experiments letztendlich nicht berauschend:

Durch Automatisierung des General-Motors-Werks drohte die Hälfte der Beschäftigten den Arbeitsplatz zu verlieren. Bergmann schlug Management und Gewerkschaft vor, die Arbeitszeit für die gesamte Mannschaft zu halbieren, um so alle Jobs zu erhalten. Jeweils sechs Monate sollte die eine Hälfte der Belegschaft arbeiten, während die andere Hälfte in der Zeit ein Hobby zum neuen Beruf ausbauen oder ein Studium aufnehmen könne.

Die Menschen, so Bergmann, sollten entdecken, was sie wirklich tun wollten, und ihrem Leben so einen neuen Sinn geben. Der Plan wurde nie Wirklichkeit – zu groß war letztlich die Angst vor dem Neuen und vor dem Verlust des halben Lohns. Viele trauten sich einfach nicht zu, das Minus im Portemonnaie durch Eigenarbeit wettzumachen. Und doch entdeckten manche bei den vielen Gesprächen mit Bergmann im Alltag verschüttete Neigungen, die sie mittlerweile mit viel Begeisterung zu einem neuen Beruf gemacht haben. Einer der Fließbandarbeiter gründete ein Yoga-Studio, eine Kollegin entdeckte, daß sie immer schon gern mit Holz arbeiten wollte, und wurde Tischlerin, ein anderer eröffnete ein Geschäft.

https://www.zeit.de/1994/12/zeit-fuer-die-dritte-revolution

Warum die jetzige Krise anders ist

Wie komme ich darauf, dass New Work eine Antwort auf die Corona-Krise sein kann, zumindest ökonomisch – wenn das GM-Experiment damals doch wenig ergiebig war?

  1. Interessanterweise war nicht das Management von GM der Hemmschuh, sondern die Angst der Menschen vor Veränderung. Die persönliche Veränderung war damals streng genommen optional. Wenn man damals jedoch mit hartleibigen Shareholder-Managern einig wurde, dann bestimmt auch heute mit modern denkenden Führungskräften.
  2. Heute haben wir nicht die Option, „ob wir springen wollen oder nicht“. Wir müssen springen. Corona zwingt uns als Gesellschaft, uns alle, zur Veränderung.
  3. Wir lernen gerade, dass von Seiten des Staates genug Geld da ist, wenn der Druck hoch genug ist. Die Wirtschaft wird gerade geflutet mit Soforthilfen, Krediten, Steuerstundungen etc. Die FInanzierung läge also nicht (nur) auf den Schultern einzelner Unternehmen, sondern auf denen der Allgemeinheit.
  4. Einen Teil dieses Geldes könnte der Staat in eine Revolution des Bildungssystems fließen lassen. Und damit meine ich eben auch New-Work-Zentren, die es den Menschen erlauben, eine – der Gesellschaft in irgendeiner Form nützlichen – Arbeit, die man wirklich, wirklich will zu finden und sich darin weiterzubilden. Diese Form der „Weiterbildung“ wird definitiv nicht von den Arbeitsagenturen abgedeckt.
  5. Damit könnte man auch Menschen auffangen, die entlassen werden – und das werden viele sein. Nicht nur aufgrund von Insolvenzen, sondern auch durch die konsequente Digitalisierung aller Wirtschaftsbereiche, die jetzt schon im Gange ist und sich unweigerlich nach Corona verschärfen wird.

Fazit

New Work ist kein Schönwetter-Format, sondern war immer schon als Antwort auf persönliche und kollektive Krisen gedacht. Es ging nie um schicke Architektur, tolle Büromöbel, agiles Arbeiten oder ähnliches. New Work versucht, den Menschen zurückzuführen auf Arbeit, die für ihn Sinn macht, die er wirklich, wirklich will. Und nichts ist persönlich motivierender und für eine Gesellschaft sinnvoller (!) als das Talent von allen ihren Mitglieder zu entwickeln und zu nutzen. Gerade in Krisenzeiten.

Was wir dafür brauchen, ist die Hilfe der Politik. Politiker, die sich diese Gedankengänge auf die Fahne schreiben und gemeinsam mit uns kämpfen, die Botschaft zu verbeiten, New-Work-Zentren einzurichten, Gelder dafür locker zu machen und eine Brücke zu den Unternehmen zu bauen. Wo sind diese Politiker? Vielleicht kennt ihr jemanden, der dafür offen wäre.

Zahlungsmoral in Zeiten von Corona

Bild eines Monopoly-Spiels

Die Anstrengungen des Staates in Zeiten von Corona sind außergewöhnlich. Bund und Länder „legen alle Waffen auf den Tisch“, wie es Finanzminister Olaf Scholz ausgedrückt hat. Soforthilfen, KfW-Kredite, Stundung von Gewerbesteuer sind nur einige der Maßnhamen, die der Staat für in Not geratene Unternehmen und Bürger plant bzw. bereits umsetzt.

So gut ich das persönlich finde, fehlt mir ein Diskussionsfeld hier völlig: die Zahlungsmoral von Unternehmen, speziell von Konzernen. Wir selbst erleben beispielsweise, dass man als Dienstleister bei Konzernen teilweise drei, vier, fünf Monate lang auf sein Geld wartet. Und für die Konzerne ist das völlig normal: Dabei ist dieses Geld volkswirtschaftlich nichts anderes als ein zinsloses Darlehen in Milliardenhöhe, das Zulieferer und Dienstleister den großen Konzernen hier gewähren. In meinen Augen ist das unverschämt und verstößt auch gegen das Prinzip des Ehrbaren Kaufmanns, das wir in unserer New Work Charta beschrieben haben.

Und weil mich das Thema sehr bewegt, habe ich dazu ein kleines Video gedreht:

New Work: Teddybären-Romantik oder hartes Business? Eine Replik auf Mark Poppenburg

Bild eines bandagierten Teddybären

Mein Kollege Mark Poppenburg hat vor einigen Tagen in einem Newsletter über die Corona-Krise folgendes geschrieben:

Jetzt ist die Zeit, Eure Mannschaft auf das vorzubereiten, was nach Corona kommt. Denn diese Krise ist der Bereinigungsmechanismus für die agile Szene und die New Work Filterblase. Wofür ich seit Jahren werbe, wird nun zum Sachzwang: Jetzt zeigt sich, wer verstanden hat, dass es bei New Work nicht um romantische Glücksbewirtschaftung gehen kann, sondern um das was Menschen im Kern antreibt: Wirksame Arbeit. Kundennutzen. Erfolg.

Mein erster Gedanke war: Stimmt, darum geht es in der Wirtschaft: Wirksame Arbeit. Kundennutzen. Erfolg. Kann ich voll unterschreiben.

Mein zweiter Gedanke war: Was versteht Mark wohl unter romantischer Glücksbewirtschaftung? Und wieso soll das nichts mit wirksamer Arbeit und Erfolg zu tun haben?

Mein dritter Gedanke war: Hoppla, da werden unterschiedliche Ebenen vermischt und gegeneinander ausgespielt. Und da wurde ich dann so unruhig, dass ich dachte: Dazu musst du was schreiben.

Wer meine Artikel ab und zu liest, weiß wahrscheinlich, dass ich New Work als ein gesellschaftliches Konzept verstehe. Das heißt: Home Office ist nicht automatisch New Work, Agilität ist nicht automatisch New Work, Obstteller ist nicht automatisch New Work. New Work bedeutet vielmehr eine grundlegend neue Interpretation von Arbeit in unserer Gesellschaft – wie ich es zum Beispiel in meinem Buch „Arbeit – die schönste Nebensache der Welt“ dargestellt habe. Der Titel wurde damals extra ein wenig blumig-provokant gewählt, um den „Blut, Schweiß und Tränen“ – Mythos, der sonst so gerne um Arbeit gewebt wird, ein wenig einzureißen. Ich weiß nicht, wie Mark das sieht, aber wenn jemand von New Work als „romantische Glücksbewirtschaftung“ spricht, scheint für mich in dieser Sprache genau dieser Mythos durch. Endlich Schluss mit den Wohlfühl-Guzzis und Purpose-Poplern. Jetzt wird Tacheles geredet und endlich wieder Kundennutzen produziert!

New Work in Unternehmen bedeutet nach meinem Verständnis nach die Verfolgung von fünf Prinzipien: Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Entwicklung und Soziale Verantwortung – so, wie wir das bei humanfy in unserer New Work Charta dargelegt haben. So sind beispielsweise die Dinge, die Mark anspricht – wirksame Arbeit und Kundennutzen – wichtige Bestandteile unserer Definition von „Unternehmenssinn“. Und vom Unternehmenssinn gibt es eine direkte Verbindung zur unternehmerischen, finanziellen und kulturellen Wertschöpfung (siehe hierzu diesen ausführlichen Artikel inklusive Grafik). Nur: Das ist lediglich ein Teil von dem, was New Work bedeutet. In diesem Sinne versucht Mark meiner Meinung nach, zwei Dinge gegeneinander zu stellen, die auf unterschiedlichen Ebenen liegen und die nicht gegeneinander ausgespielt werden können und sollen.

New Work ist das große Ganze, es beruht auf Prinzipien wie Freiheit und Selbstverantwortung und ist nicht zuletzt ein Gesellschaftsmodell. Zur Ausgestaltung von New Work in Wirtschaft und Gesellschaft gehört selbstverständlich auch wirksame Arbeit, Kundennutzen und unternehmerischer Erfolg. Keine Frage. Doch New Work stellt duchaus auch die „romantisierenden“ Fragen nach Glück, einer solidarischen Wirtschaft und einer sinnvollen „Arbeit, die du wirklich, wirklich willst“ (überhaupt DAS Kernkonzept von New Work“. Wir sollten New Work weiterdenken als in seinen wirtschaftlichen Dimensionen. Sonst bleibt es, wie es der New Work – Begründer Frithjof Bergmann einmal bezeichnet hat, „Lohnarbeit im Minirock“. Und das hat das Konzept wirklich nicht verdient.

Ein bewegendes Statement zur Corona-Krise

Screenshot Bosselmann

Was denkt und fühlt der deutsche Mittelstand in der Corona-Krise? Der Inhaber der Landbäckerei Bosselmann, Gerhard Bosselmann, richtet einen ebenso dramatischen wie berührenden Appell an seine Mitarbeiter, seine Kunden und die Poltik.

Nehmt euch die Zeit und hört rein. Es geht um das, was eine Gesellschaft im Innersten zusammenhält: Solidarität, Menschlichkeit und gegenseitige Unterstützung. Bei humanfy schreiben wir in unserer New Work Charta unter dem Prinzip der spzialen Verantwortung vom „Ehrbaren Kaufmann“. Gerhard Bosselmann verkörpert dieses hehre Vorbild, gerade in Zeiten dieser schweren Krise:

It’s the Menschenbild, stupid!

Bild eines Bronzekopfes

Wenn wir von Entwicklung in Unternehmen sprechen (egal, ob es um
Führung, Kommunikation, Kultur, Personalentwicklung oder ähnliches
geht), dann springen wir in der Regel gleich ins Thema rein. Wir widmen
uns Modellen und praktischen Anwendungen, wir machen Workshops, Projekte
zu Transformation und Change etc.

Was interessanterweise so gut wie nie thematisiert wird, ist das
Menschenbild aller Beteiligten. Wie tickt denn der Mensch? Wie wird er
motiviert? Sollen Gefühle am Arbeitsplatz eine Rolle spielen? Und wenn
ja, welche? Diese und andere Fragen werden stillschweigend ignoriert.
Dabei ist das Menschenbild, das mein Denken, Fühlen und Handeln steuert,
absolut entscheidend. Kleine Kostproben:

  • „Ich muss das den Mitarbeitern nicht erklären. Eine Rundmail
    reicht.“ (= Menschen brauchen keine Kommunikation. Sie sind rationale
    Automaten, die ich auf technologischem Weg informieren kann.)
  • „Wenn ich den Meier nicht anschiebe, macht der nichts. Der hat so gar
    keine Motivation.“ (= So etwas wie interne Motivation gibt es nicht.
    Menschen müssen belohnt oder bestraft werden.)
  • „Unsere FTEs
    sind viel zu hoch. Da müssen wir kappen.“ (= Menschen sind verfügbares
    Humankapital, auf einer Stufe mit Maschinen oder Büromöbeln.)

Die gleichen Mitarbeiter und Führungskräfte, die solche Sätze sagen,
rennen dann zu New Work – Tagungen, huldigen „disruptiven“
Technologieversprechen, modernen Arbeitsansätzen und kuscheligen
Lounge-Möbeln für den neu gestylten Arbeitsbereich. Dabei ist das Menschenbild das Entscheidende im New Work!
Wie will ich denn „Augenhöhe“ (noch so ein Modewort) leben, wenn ich
insgeheim denke: „Die Pfeife muss man auch ständig zum Jagen tragen.“
Ganz abgesehen davon, dass ein Menschenbild auch meine Sicht AUF MICH
SELBER beeinflusst.

Und ja, das ist kein Thema der Ökonomie oder der Organisationsentwicklung oder von Change. Es ist ein philosophisches Thema – womit bewiesen wäre, dass sich moderne Führungskräfte bitte auch mit Philosophie und Psychologie beschäftigen sollten. Wussten Sie, dass der New Work – Begründer Frithjof Bergmann Philosophie-Professor ist? Er promovierte über Hegel und die menschliche Freiheit. Philosophie steckt New Work in den Genen. Sie zu ignorieren wäre, wie einem menschlichen Körper den Sauerstoff abzudrehen.

In meiner Masterclass Organisationscoaching bringe ich angehenden Organisationscoaches unter anderem bei, dass die Grundlage ihres Handelns das humanistische Menschenbild sein sollte. Es besteht aus sechs Kernannahmen über den Menschen (=> ausschneiden und aufkleben):

  • Der Mensch besteht aus der Einheit von Körper, Geist und Seele (Integrität)
  • Der Mensch ist sich seiner selbst und seiner Umwelt bewusst (Bewusstsein)
  • Der Mensch hat ein Recht auf Freiheit und eigene Entscheidungen (Souveränität)
  • Der Mensch ist einzigartig, in sich wertvoll und von Grund auf gut (Originalität)
  • Der Mensch ist angelegt auf Selbstaktualisierung und Wachstum (Autopoiese)
  • Der Mensch ist auf Konkurrenz und Kooperation hin angelegt (Sozialität)

Diese sechsteilige Zusammenstellung findet ihr so nur bei mir, daher
gibt es auch keine Quellenangabe. Ich habe verschiedene Quellen
recherchiert, aber richtig befriedigt hat mich da nichts. Daher habe ich
selbst einen originalen Kriterienkatalog mit den entsprechenden
Schlagworten designt.

Zu jedem dieser Schlagworte könnte man ein Buch schreiben. Ich will es im Rahmen dieses Artikels bei einigen provozierenden Betrachtungen belassen. Nur soviel: Fragt euch mal, wo diese Prinzipien in eurem Unternehmen GEBROCHEN werden.

  • Darftst du „wachsen“ und dich entwickeln? Oder wirst du kleingehalten bzw. gibt es kein Bewusstsein für individuelles oder kollektives Lernen? Vergiftet man das persönliche Wachstum durch Silodenken und Abschottung?
  • Wie frei bist du in deinen Entscheidungen? Oder wirst du gegängelt, es wird dir nichts zugetraut, du hast kein Budget?
  • Wenn der Mensch tatsächlich aus der Einheit von Körper, Geist und Seele besteht: Warum vernachlässigt man dann die Bedürfnisse von Geist und Seele in unserer Arbeitswelt so sträflich? Die Flut von Burnout-Fällen, grassierende Demotivation oder die Unfähigkeit von Unternehmen, strukturell mit Stress umzugehen, fallen ja nicht vom Himmel.
  • Wirst du wirklich als „wertvoll“ und als „von Grund auf gut“ betrachtet? Oder bist du ein Rad im Getriebe, das man bedenkenlos austauscht, wenn es kaputt ist?

Was ich sagen will, ist Folgendes: Wir gehen nonchalant davon aus, dass wir alle ein humanistisches Menschenbild teilen. Schließlich ist 2020 und wir sind doch alle vernünftige Leute.

Eben nicht. Humanismus erfordert eine bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Menschenbild und wo dieses ganz konkret mein Denken, Fühlen und Handeln im Unternehmen beeinflusst. DAMIT müsste jede Initiative, die mit Menschen zu tun hat, beginnen. Mindestens, indem sich alle Beteiligten über das humanistische Menschenbild aufschlauen und ihr Denken kritisch prüfen. Das wäre der Beginn hin zu einem grundsätzlichem Umdenken und zu echtem New Work.