Definition Organisationscoaching

Coaching kennt heute fast jeder. Es gibt Einzelcoaching, Teamcoaching, Karrierecoaching etc. Aber Organisationscoaching? Was soll das denn sein? Und braucht es dafür tatsächlich eine eigene Definition? Unserer Meinung nach: ja.

Schauen wir ein wenig in die Literatur. Nach Schmid (2014) spricht man von Organisationscoaching, wenn “…die Organisation, die Gestaltung und Entwicklung von Organisationsleben und die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Organisation als Deutungsrahmen und Gestaltungsdimensionen im Zentrum stehen [..]. Die Fokussierung und das Vorgehen im Coaching sollten auf diese ganzheitliche Organisationsbetrachtung bezogen werden, auch wenn situativ Teilperspektiven behandelt werden.”

Diese Definition enthält bereits einige wichtige Elemente:

  • die Organisation als Ganzes im Zentrum der Betrachtung
  • Organisationscoaching als komplexes, systemisches Geschehen
  • Implizit: Erweiterung der Lösungskompetenz (sonst kein Coaching)

Obwohl diese Definition nicht falsch ist, ist sie meiner Meinung nach nicht präzise genug. Ich will daher im Folgenden anhand von vier Kernfragen eine erweiterte Definition von Organisationscoaching mit etwas mehr „Tiefenschärfe“ vorschlagen.

Was ist Organisationscoaching?

Kurz gesagt: Organisationscoaching beschreibt die gezielte Prozessbegleitung von Systemen im Organisationskontext, mit dem Wohl der Organisation als integrierendem Fokus. Das bedeutet einerseits, „Subsysteme“ wie einzelne Führungskräfte oder Teams zu coachen und andererseits dabei immer das übergeordnete Ziel der ganzen Organisation im Auge zu behalten. Ein Organisationscoach muss auf das fokussieren, was nah vor ihm liegt und gleichzeitig „den Horizont im Blick behalten“ – eine komplexe, anspruchsvolle Aufgabe, die Übersicht und Geduld erfordert. Das kann im Praxisfall dazu führen, dass beispielsweise eine Führungskraft gecoacht wird, deren Thema nichts mit dem Organisationscoaching-Auftrag zu tun hat – das Coaching einer anderen Führungskraft aber sehr wohl. Der Organisationscoach muss immer „das große Ganze“ im Blick behalten – wenn schon nicht analytisch, so doch immer mit einem intuitiven Hören am Puls der Organisation.

Wo findet Organisationscoaching statt?

Praktisch kann Organisationscoaching überall stattfinden: in Workshops, Management-Meetings, Einzelcoachings und so weiter. Theoretisch erzeugt und erhält Organisationscoaching sogenannte Liminality Spaces, innerhalb derer das Klientensystem seine Lösungskompetenz maximiert. Liminality Spaces sind im buchstäblichen und übertragenen Sinn Räume, in denen die Organisation unter Anleitung eines Organisationscoaches ihre Themen bearbeitet, Experimente entwickelt und Lösungen kreiert. Dabei ist entscheidend, dass ein Liminality Space immer innerhalb der Organisation gesetzt wird, möglichst wenig Beeinflussung von außen. Für einen Liminality Space müssen gewisse Parameter gegeben sein, zum Beispiel das Herausarbeiten gemeinsamer mentaler Modelle bei allen Beteiligten.

Wie funktioniert Organisationscoaching?

Egal ob es um Menschen, Teams oder Organisationen geht: Veränderung kann man nicht befehlen. Aber man kann sie im besten Sinne provozieren. Und genau das geschieht im Organisationscoaching. Der Haupteffekt von  Organisationscoaching besteht daher in der konstruktiven Erschütterung routinierter bzw. dysfunktionaler Muster der Organisation durch change trigger irritations. So wie Hofnarren im Mittelalter dem König den Spiegel vorhielten, stellt Organisationscoaching traditionelle Muster in Frage und fördert das Einnehmen neuer Perspektiven. Der Organisationscoach bringt also keine Lösung von außen, sondern versetzt das System in Schwingung und erzeugt einen „Kippunkt der Neuordung“. Dies geschieht sozio- und psychodynamisch durch Inspiration, Irritation und Instruktion.

Wozu dient Organisationscoaching?

Letztlich dient jedes Coaching der Problemlösung des Klientensystems. Die drei Kernziele jedes Organisationscoachings sind daher, wenig überraschend, organisationale Wahrnehmungserweiterung, Entscheidungsfähigkeit und Handlungskompetenz. Wie andere Coachingprozesse für Einzelpersonen oder Teams auch geht es beim Organisationscoaching darum, das Klientensystem zu stärken und aus sich heraus lernen zu lassen. Was auch immer das Problem der Organisation ist: Nach dem Coaching soll die Problemlösekompetenz spürbar und messbar angestiegen sein. Nicht nur für das eigentliche Anliegen, sondern idealerweise auch als Lösungsverstärker für andere Herausforderungen.

Was bringt Organisationscoaching?

Organisationscoaching kann unserer Meinung nach zahlreiche Vorteile für die Wertschöpfung einer Organisation erzeugen:

  • Besser ausgebildete Mitarbeiter durch gezielte persönliche und kollektive Förderung
  • Größeres Mitarbeiter-Engagement durch Eigenverantwortung und Beteiligung
  • Geringere Fluktuation durch höhere Motivation und Zufriedenheit
  • Höhere finanzielle Wertschöpfung durch bewusstere Führung, starke Vernetzung und höhere Innovationsrate

Um in einem eben genannten Bild zu bleiben: Jede Organisation sollte sich einen Hofnarr leisten. Und damit sich hier interne „Querdenker“ nicht aufreiben müssen oder sich die Organisation kulturell aufreibt, kann der Einsatz eines externen Organisationscoaches hilfreich sein. Nicht nur um der Organisation willen – sondern um der Menschen willen, die ihn ihr arbeiten und Tag für Tag ihr Bestes geben.

Quelle

Schmid, Bernd: Was ist Organisationscoaching? https://bibliothek.isb-w.eu/alfresco/d/d/workspace/SpacesStore/cfac057a-ae2b-421f-9a89-f1cc9588f436/147-Organisationscoaching-Schmid_2012.pdf

#NewWorkPolicies: Vier Vorschläge zum politischen Agenda-Setting

(Dieser Artikel ist Teil der Blogparade #NewWorkPolicies von sterneundplaneten.)

Was geht New Work die Politik eigentlich an? Fragt man Wirtschaft und Politik, hört man in der Regel: sehr wenig. Beide Sphären interpretieren New Work vor allem als eine Modifikation des Arbeitsplatzes: digitales Arbeiten, Homeoffice, Agilität, vielleicht noch neue Arbeitszeitregelungen (aber bitte nur für Office Worker, Shopfloor-Arbeiter und Straßenkehrer sollte man da nicht mit reinziehen – zu kompliziert oder zu weit weg). Veredelt werden solche Denk-Sackgassen dann mit großen, doch leider hohlen Phrasen: Natürlich müsse Arbeit „neu gedacht werden“, schließlich gehe es ja um „die Zukunft der Arbeit“, um eine „gesellschaftliche Transformation“, gerade in Zeiten von Corona als dem großen „Gamechanger“. 

Dabei wäre eine Politisierung von New Work im Grunde einfach. 

Erwerbsarbeit ist immer noch das Maß aller Dinge

Der Soziologe Ulrich Beck beschrieb schon 2007 eine mögliche Neuordung unserer Arbeitsgesellschaft und forderte die finanzielle und wertschätzende Gleichstellung aller drei Arbeitsarten: Einkommensarbeit, Care- und Familienarbeit sowie Bürger- und Ehrenamt. Für ein New Work in politischer Hinsicht sollten wir Becks Grundforderung daher genau prüfen und uns damit intensiv auseinandersetzen. Gerade Corona wirft ein grelles Licht auf das Missverhältnis der drei Beschäftigungsarten: Während beispielsweise in der Corona-Krise für Pflegekräfte und Supermarkt-Kassierer eifrig geklatscht wird, müssen sie auf eine entsprechende finanzielle Aufwertung ihrer Arbeit weiterhin warten.

Anderes Beispiel: Millionen Berufstätige machen nun mit ihren Kindern Homeschooling – motiviert zwar, aber ohne finanziellen Ausgleich. Auch hier verteilt die Gesellschaft hohe Respektpunkte – trotzdem rutschen manche Familien durch den erzwungenen Verzicht auf ein Gehalt bzw. Kurzarbeit am Rande des Bankrotts entlang.

Jede Initiative, die sich der finanziellen Gleichstellung dieser drei Beschäftigtenarten widmet, ist daher aus New-Work-Sicht zu begrüßen. Damit würde man übrigens auch der ursprünglichen Vision von New Work entgegenkommen, dessen Begründer Frithjof Bergmann in den 1980ern das Streben nach „Arbeit, die man wirklich, wirklich will“ proklamierte – egal, ob diese bezahlt ist oder nicht. Bergmann strebte für den Menschen nach einer sinnerfüllten Arbeit, nach einer Befreiung von der physisch und psychisch zermürbenden Arbeitswelt und einer neuen Teilhabe der Menschen an der Gesellschaft.

Arbeitsrecht aus einem vergangenen Jahrhundert

Nehmen wir für den Moment an, New Work WÄRE tatsächlich nur die Modifikation von Arbeitsplätzen: Auch das würde für viele Unternehmen nicht funktionieren. Ein großer Hemmschuh liegt hier im Arbeits- und Sozialrecht, das teilweis noch aus Bismarcks Zeiten stammt. Einst erdacht, um den Fabrikarbeiter vor Ausbeutung und arbeitsrelevanten Gefahren zu schützen, ist es für große Teile der heutigen Wirtschaft schlicht überaltert und versieht die Unternehmen mit einer regulatorischen Zwangsjacke.

Aktuelles Beispiel: Einige Unternehmen verbieten es ihren Mitarbeitern, im Zusammenhang mit ihrer Homeoffice-Tätigkeit von „Homeoffice“ zu sprechen. Stattdessen sollen sie den Begriff „Remote Work“ benutzen. Warum? Weil die Einrichtung von Homeoffice höhere Anforderungen an das Unternehmen stellt. Theoretisch müssten Unternehmen den Kauf ergonomischer Möbel für zuhause unterstützen, die Lichtverhältnisse prüfen, eventuell einen VPN-Tunnel zur Verfügung stellen etc. Macht natürlich keiner. Aber das Lachen über solche fadenschinigen Begriffsunterschiede vergeht einem, wenn erste Arbeitsprozesse drohen.

Beispiel Arbeitszeit: Das Arbeitsministerium von Hubertus Heil hat eine App entwickelt, mit der Arbeitskräfte ihre Arbeitszeit dokumentieren konnten. Ein Erfolgsprojekt: kostenlos, seriös, quasi mit staatlichem Stempel für Unternehmen nutzbar. Ende 2019 wurde die App dann sang- und klanglos eingestellt, mit der lapidaren Begründung: „Die Einführungsphase ist vorüber und die für die App zur Verfügung gestellten Ressourcen sind nunmehr aufgebraucht.“ Kein Support mehr und keine Weiterentwicklung. Ein Trauerspiel. Dabei hatte die Zeiterfassungs-App „nur“ 74.000 EUR gekostet – wohingegen andere App-Angebote von Bundesbehörden insgesamt fast fünf Millionen EUR (!) verschlungen hatten, mit durchwachsenem Ergebnis.

Will man New Work politisch durchsetzen, müsste man daher als eine der wichtigsten Maßnahmen das deutsche Arbeits- und Sozialrecht entrümpeln (ich schreibe absichtlich nicht: liberalisieren). Es geht vielmehr um eine Güterabwägung zwischen den manchmal durchaus berechtigten Schutzinteressen des arbeitenden Menschen und den Anforderungen einer Wirtschaft des 21. Jahrhunderts. Dafür müssten allerdings alle Verhandlungsparteien gemeinsame Interessen (vulgo: Lösungen) suchen anstatt zu versuchen, einfach ihre Interessen für ihre jeweilige Klientel durchzudrücken. Das scheint noch nicht immer im Lager von Politik, Gewerkschaften und Arbeitgebern angekommen zu sein. 

Kehren vor der eigenen Haustür

Vielleicht fehlt im politischen Berlin auch einfach das Bewusstsein für Neues Arbeiten, die eigene diesbezügliche Lebens- und Berufserfahrung. Von den derzeit 709 Bundestagsmitgliedern haben nur ein Drittel ihren beruflichen Hintergrund in der Wirtschaft, beispielsweise als Handwerker, Finanzfachleute oder aus der Medienbranche. Weitere vierzehn Prozent sind immerhin Anwälte, Wirtschafts- oder Steuerberater. Es dominieren die Abgeordneten aus dem Öffentlichen Dienst und den politischen Organisationen (43 Prozent).  Aber gerade New Work ist eine Philosophie, die man im Idealfall selbst erlebt bzw. eingesetzt hat. Man braucht ein persönliches Verhältnis dazu, zu Aspekten wie Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Entwicklung und sozialer Verantwortung. Alle diese New-Work-Aspekte beschreiben wir übrigens in unserer New Work Charta.

Man muss sich vielleicht den „gefährlichen Wind der Existenz“ um die Nase wehen lassen, um zu einem Konzept wie New Work Stellung zu beziehen oder gar zu versuchen, Dinge im großen gesellschaftlich-politischen Kontext zu verändern. Da könnte eine finanzielle Rundum-Versorgung, wie sie für Bundestagsabgeordnete üblich ist, eher hinderlich sein: 9.500 EUR monatliches Grundgehalt brutto plus eine Aufwandspauschale von jährlich 12.000 EUR plus Rentenansprüche (mind. 954 EUR monatlich) plus weitere Zuschläge für herausgehobene Positionen. Dabei geht es mir gar nicht um die Höhe der Vergütung an sich. Politik ist ein Knochenjob, keine Frage. Ich glaube aber, es macht etwas mit einem, wenn man dauerhaft finanziell völlig woanders unterwegs ist als der Normalbürger – und das auch noch weitgehend risikofrei.

Im Endeffekt könnte man New Work in dieser Hinsicht fördern, wenn man als Politiker diesen Lebensstil wenigstens reflektiert bzw. sich bewusst nicht an ihn gewöhnt. Oder, radikaler gedacht: Man gibt das Wesen des Berufspolitikers auf und konstituiert das Parlament als „Nebenerwerbsbetrieb“ des jeweiligen Bürgers. Das wäre natürlich die ganz große Axt und dementsprechend unrealistisch. 

Die Neuerfindung der Gewerkschaften 

New Work und Politik: Das geht nur zusammen, wenn auch die Gewerkschaften mitspielen. Ist das überhaupt möglich? Interessanterweise stehen gerade Gewerkschaften dem New-Work-Konzept meist gleichgültig bis argwöhnisch gegenüber. Das ist nur auf den ersten Blick verwunderlich, denn Gewerkschaften wollen auch ihre Pfründe verteidigen: Sie verstehen sich immer noch als Bollwerk gegen den „bösen Arbeitgeber“ und als weiße Ritter, die sich schützend vor den Arbeitnehmer werfen. Diesem Gut-Böse-Schema stellt New Work ein gemeinsames Arbeiten an der Lösung entgegen, das Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam entwerfen. Gewerkschaften als klassische „Frontlinie“ hätten damit weitgehend ausgedient. In nicht wenigen Branchen ohne diese klare Frontlinie haben Gewerkschaften daher nie richtig Fuß fassen können, beispielsweise in der IT, bei Kreativen aller Art oder auch in der Reinigungsbranche. Um New Work zu fördern, müssten sich Gewerkschaften ganz neu fragen: Wer ist meine Klientel? Und vertreten wir eigentlich noch das, was die Beschäftigten wollen? Wo liegt unsere Existenzberechtigung jenseits des „Weißen Ritters“? Und sind wir offen für neue Konzepte?

Versteht man New Work nicht nur als Arbeitsplatz-Modifikation, sondern als Thema für Gesellschaft und Politik, sollten wir daher an diesen vier Themen im Sinne eines Agenda-Settings arbeiten: 

  • Finanzielle Gleichstellung von Erwerbsarbeit, Care- und Familienarbeit sowie Bürger- bzw. Ehrenamt
  • Grundlegende Reform von Arbeits- und Sozialrecht
  • Erhöhung des exstenziellen Risikos für Berufspolitiker bzw. deren Umwandlung in „Nebenerwerbsarbeit“
  • Neuerfindung der Gewerkschaften und ihrer gesellschaftlichen Rolle

Unser Podcast NEW WORK WORKS ist online

Endlich ist es soweit: Unser Podcast NEW WORK WORKS ist online! Mit unserem Podcast wollen wir New Work in Wirtschaft und Gesellschaft buchstäblich eine weitere Stimme geben und durch interessante Interviews mit New Workern Lust auf mehr machen. Wie das geht?

1. Wir interviewen ausschließlich Persönlichkeiten aus unserer humanfy-Community. Nicht weil wir elitäre Snobs sind, sondern weil es aus unserer Community von Anfang an den Wunsch gab, voneinander zu lernen.

2. Wir interviewen die New Worker von nebenan, keine Promis oder offizielle Unternehmensvertreter großer Firmen. Eben Menschen mit tollen Ideen, die New Work in ihrem Umfeld wirksam umsetzen.

3. Wir wollen zeigen, dass New Work systemrelevant ist (und kein Schönwetter-Phänomen). Daher heißt der Podcast „New Work Works“ – “New Work funktioniert”.

Ihr findet den Podcast hier bei uns auf unserer Podcast-Seite, aber selbstverständlich auch bei den Plattformen iTunes, Spotify und SoundCloud.

Als kleinen Appetizer haben wir euch die erste Folge mit Simone Engelhard und Simon Qualmann von LernGlust gleich hier eingebettet. Viel Spaß!

New Work ist das Gebot der Stunde

Viele Menschen – auch aus der New Work – Szene – wissen anscheinend nicht (oder wollen es nicht wissen), woher New Work eigentlich stammt und wodurch es geprägt wurde. Wüssten sie es, würde sich die Frage, ob New Work die momentane Krise überlebt oder nicht, gar nicht erst stellen.

New Work war anfangs ein Projekt für den persönlichen Krisenmodus: für Arbeitslose, Obdachlose, kriminelle Jugendliche.

Ich will hier einmal nicht auf den sozialethischen oder philosophischen Aspekt von New Work hinaus, sondern auf ein konkretes Szenario. Ende der 1980er war die US-Automobilindustrie in einer tiefen Krise. Natürlich nicht so schlimm wie heute, aber die Autoindustrie war damals fester Bestandteil der Big Three der amerikanischen Wirtschaftsleistung: Big Oil, Wall Street und eben Big Detroit (als Sitz der wichtigsten Autokonzerne). Heute hat übrigens das Silicon Valley Big Detroit als eine der drei Hauptstützen amerikanischer Wirtschaft abgelöst, aber das nur nebenbei.

Damals musst auch General Motors viele Menschen entlassen. Zu dieser Zeit kam Prof. Frithjof Bergmann, der Begründer von New Work, mit dem Management von GM ins Gespräch und machte folgenden Vorschlag: GM sollte innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten die Menschen sechs Monate beschäftigen (denn solange war noch Arbeit da) und in den zweiten sechs Monaten das Gehalt weiterzahlen, während die Mitarbeiter in ihren Communities ein „New-Work-Coaching“ erhielten, bei welchem sie gemeinsam und für sich ihre „Arbeit, die sie wirklich, wirklich wollen“ herausfinden sollten – mit denen sie dann idealerweise auch noch ihre Communities unterstützen würden.

Und das Wunder geschah: Das Management von GM ließ sich auf den Deal ein. Dennoch waren die Ergebnisse des Experiments letztendlich nicht berauschend:

Durch Automatisierung des General-Motors-Werks drohte die Hälfte der Beschäftigten den Arbeitsplatz zu verlieren. Bergmann schlug Management und Gewerkschaft vor, die Arbeitszeit für die gesamte Mannschaft zu halbieren, um so alle Jobs zu erhalten. Jeweils sechs Monate sollte die eine Hälfte der Belegschaft arbeiten, während die andere Hälfte in der Zeit ein Hobby zum neuen Beruf ausbauen oder ein Studium aufnehmen könne.

Die Menschen, so Bergmann, sollten entdecken, was sie wirklich tun wollten, und ihrem Leben so einen neuen Sinn geben. Der Plan wurde nie Wirklichkeit – zu groß war letztlich die Angst vor dem Neuen und vor dem Verlust des halben Lohns. Viele trauten sich einfach nicht zu, das Minus im Portemonnaie durch Eigenarbeit wettzumachen. Und doch entdeckten manche bei den vielen Gesprächen mit Bergmann im Alltag verschüttete Neigungen, die sie mittlerweile mit viel Begeisterung zu einem neuen Beruf gemacht haben. Einer der Fließbandarbeiter gründete ein Yoga-Studio, eine Kollegin entdeckte, daß sie immer schon gern mit Holz arbeiten wollte, und wurde Tischlerin, ein anderer eröffnete ein Geschäft.

https://www.zeit.de/1994/12/zeit-fuer-die-dritte-revolution

Warum die jetzige Krise anders ist

Wie komme ich darauf, dass New Work eine Antwort auf die Corona-Krise sein kann, zumindest ökonomisch – wenn das GM-Experiment damals doch wenig ergiebig war?

  1. Interessanterweise war nicht das Management von GM der Hemmschuh, sondern die Angst der Menschen vor Veränderung. Die persönliche Veränderung war damals streng genommen optional. Wenn man damals jedoch mit hartleibigen Shareholder-Managern einig wurde, dann bestimmt auch heute mit modern denkenden Führungskräften.
  2. Heute haben wir nicht die Option, „ob wir springen wollen oder nicht“. Wir müssen springen. Corona zwingt uns als Gesellschaft, uns alle, zur Veränderung.
  3. Wir lernen gerade, dass von Seiten des Staates genug Geld da ist, wenn der Druck hoch genug ist. Die Wirtschaft wird gerade geflutet mit Soforthilfen, Krediten, Steuerstundungen etc. Die FInanzierung läge also nicht (nur) auf den Schultern einzelner Unternehmen, sondern auf denen der Allgemeinheit.
  4. Einen Teil dieses Geldes könnte der Staat in eine Revolution des Bildungssystems fließen lassen. Und damit meine ich eben auch New-Work-Zentren, die es den Menschen erlauben, eine – der Gesellschaft in irgendeiner Form nützlichen – Arbeit, die man wirklich, wirklich will zu finden und sich darin weiterzubilden. Diese Form der „Weiterbildung“ wird definitiv nicht von den Arbeitsagenturen abgedeckt.
  5. Damit könnte man auch Menschen auffangen, die entlassen werden – und das werden viele sein. Nicht nur aufgrund von Insolvenzen, sondern auch durch die konsequente Digitalisierung aller Wirtschaftsbereiche, die jetzt schon im Gange ist und sich unweigerlich nach Corona verschärfen wird.

Fazit

New Work ist kein Schönwetter-Format, sondern war immer schon als Antwort auf persönliche und kollektive Krisen gedacht. Es ging nie um schicke Architektur, tolle Büromöbel, agiles Arbeiten oder ähnliches. New Work versucht, den Menschen zurückzuführen auf Arbeit, die für ihn Sinn macht, die er wirklich, wirklich will. Und nichts ist persönlich motivierender und für eine Gesellschaft sinnvoller (!) als das Talent von allen ihren Mitglieder zu entwickeln und zu nutzen. Gerade in Krisenzeiten.

Was wir dafür brauchen, ist die Hilfe der Politik. Politiker, die sich diese Gedankengänge auf die Fahne schreiben und gemeinsam mit uns kämpfen, die Botschaft zu verbeiten, New-Work-Zentren einzurichten, Gelder dafür locker zu machen und eine Brücke zu den Unternehmen zu bauen. Wo sind diese Politiker? Vielleicht kennt ihr jemanden, der dafür offen wäre.

Zahlungsmoral in Zeiten von Corona

Bild eines Monopoly-Spiels

Die Anstrengungen des Staates in Zeiten von Corona sind außergewöhnlich. Bund und Länder „legen alle Waffen auf den Tisch“, wie es Finanzminister Olaf Scholz ausgedrückt hat. Soforthilfen, KfW-Kredite, Stundung von Gewerbesteuer sind nur einige der Maßnhamen, die der Staat für in Not geratene Unternehmen und Bürger plant bzw. bereits umsetzt.

So gut ich das persönlich finde, fehlt mir ein Diskussionsfeld hier völlig: die Zahlungsmoral von Unternehmen, speziell von Konzernen. Wir selbst erleben beispielsweise, dass man als Dienstleister bei Konzernen teilweise drei, vier, fünf Monate lang auf sein Geld wartet. Und für die Konzerne ist das völlig normal: Dabei ist dieses Geld volkswirtschaftlich nichts anderes als ein zinsloses Darlehen in Milliardenhöhe, das Zulieferer und Dienstleister den großen Konzernen hier gewähren. In meinen Augen ist das unverschämt und verstößt auch gegen das Prinzip des Ehrbaren Kaufmanns, das wir in unserer New Work Charta beschrieben haben.

Und weil mich das Thema sehr bewegt, habe ich dazu ein kleines Video gedreht: